Pierre Teilhard de Chardin Wikipedia
Posted: October 4, 2015 at 7:50 am
Pierre Teilhard de Chardin [pj teja d ad] (* 1. Mai 1881 in Orcines bei Clermont-Ferrand; 10. April 1955 in New York) war ein franzsischer Jesuit, Theologe und Naturwissenschaftler. Er wurde vor allem durch seine spirituelle Evolutionstheorie und seine Synthese von Religion und Wissenschaft bekannt. Als Geologe, Anthropologe und Palontologe war Pierre Teilhard de Chardin weltweit forschend ttig. Der Spezialist fr die Frhzeit des Menschen war auch beteiligt an der Entdeckung des Peking-Menschen.
Teilhards Hauptanliegen war, die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft und die christliche Heilslehre miteinander in Einklang zu bringen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach Herkunft und Zukunft des Menschen. Sein Motto war: Die Welt ist nur nach vorwrts interessant. Teilhards Werk ist als Versuch zu werten, das jahrhundertealte christliche Weltbild auf eine neue, zukunftsgerichtete Basis zu stellen. Dies sollte zu einem Zusammendenken von Glauben und Wissen, Geist und Materie, Gott und Welt fhren.
Teilhards Ansichten ber die Entwicklung von Welt und Kosmos standen in klarem Kontrast zum biblischen Fundamentalismus und zum religisen Kreationismus. Fr die katholische Kirche stellten sie eine Bedrohung der traditionellen Theologie und des kirchlichen Lehramtes dar. Die meisten Schriften Teilhards wurden vom Vatikan abgelehnt und durften zu seinen Lebzeiten nicht verffentlicht werden. Nach Teilhards Tod erreichten seine Werke rasch groe Auflagen und wurden in viele Sprachen bersetzt. Sein bekanntestes Buch, Der Mensch im Kosmos, erschien 1959 (Le Phnomne humain, 1955).
Pierre Teilhard de Chardin wurde am 1. Mai 1881 auf dem Landsitz Sarcenat in Orcines in der Auvergne, am Rand des franzsischen Zentralmassivs, geboren. Er war das vierte von elf Kindern des Emmanuel Teilhard de Chardin und der Berthe-Adle de Dompierre dHornoy. Sein Vater, einem alten Adelsgeschlecht entstammend, widmete sich neben der Bewirtschaftung seiner Gter den Archiven der nahegelegenen Stadt Clermont-Ferrand. Auerdem war er naturwissenschaftlich interessiert und erschloss seinen Kindern vielfltige Zugnge zur Natur. Seine Mutter, eine Ur-Gronichte von Voltaire, war sehr religis. Die Verbindung des christlichen Weltbildes mit dem der Naturwissenschaften wurde Teilhards Lebensthema. Schon als Kind zeigte er ein starkes Interesse an Pflanzen und Steinen und legte entsprechende Sammlungen an.
Ab dem zwlften Lebensjahr besuchte Teilhard ein Jesuitenkolleg. Nach sieben Jahren trat er dem Jesuitenorden bei und durchlief die ordensblichen Ausbildungsstationen. 1901 legte er die ersten Gelbde ab. Die nchsten drei Jahre verbrachte Teilhard wegen der Vertreibung der Jesuiten aus Frankreich auf der Kanalinsel Jersey, wo er Philosophie, Geologie, Physik und Chemie studierte und die Insel mit Lupe und Geologenhammer erkundete.
Im August 1905 zog Teilhard nach Kairo und unterrichtete am dortigen Jesuitenkolleg whrend dreier Jahre Physik und Chemie. Daneben unternahm er geologische Exkursionen nach Mokattam, Fayoum und Obergypten. Ab Oktober 1908 studierte er Theologie in Ore Place bei Hastings im Sdosten Englands und am 24. August 1911 wurde er zum Priester geweiht.
Das Theologiestudium war fr Teilhard eine wichtige Vorbereitungsphase fr sein spteres Werk. Zum Ersten wurde er von der Spiritualitt des Ignatius von Loyola durchdrungen. Zum Zweiten las er in dieser Zeit das 1907 erschienene Werk L'volution cratrice von Henri Bergson, das auf ihn tiefen Einfluss ausbte und ihm bewusst machte, dass die gesamte Welt in einem unaufhaltsamen Mehr-Werden begriffen ist. Zum Dritten verfasste er mehrere Aufstze zu theologischen Themen, in denen sich schrittweise seine sptere Weltsicht herauskristallisierte. Hier reifte seine Erkenntnis, dass Geist und Materie nicht zwei einander entgegengesetzte Dinge, sondern zwei Zustnde desselben kosmischen Substrats sind. Diese Schriften fanden bis 1986 kaum Beachtung, sind jedoch fr das Verstndnis Teilhards wichtig (Siehe auch Evolution und Schpfung (Pierre Teilhard de Chardin)).
1912 besuchte er im Sden Englands die Fundstelle des Piltdown Man, der sich spter als Flschung herausstellte (Siehe auch Naturwissenschaftliche Kritikpunkte). In dieser Zeit fasste Teilhard den Entschluss, sich ganz der Erforschung des fossilen Lebens zu widmen. Seine Ordensoberen hatten nichts dagegen, da ihnen sein selbststndiges theologisches Denken missfiel. Als Vorbereitung absolvierte er in Paris ein Zusatzstudium in Palontologie, der Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Erdzeitalter.
Der Erste Weltkrieg, in dem Teilhard als Sanitter in einem marokkanischen Schtzenregiment unter anderem bei den Schlachten von Ypern und Verdun im Einsatz war, unterbrach seinen wissenschaftlichen Werdegang und hinterlie tiefe Spuren. Einerseits rhrten diese von Frontereignissen her, andererseits erfuhr er in dieser Zeit mehrere Christus-Visionen, die fr seinen weiteren Lebensweg prgend waren. Die Erfahrungen dieses Krieges fhrten ihn zum Bewusstsein der berindividuellen Dimensionen menschlichen Daseins: des kollektiven Leidens, aber auch des kollektiven Einheitserlebens. Er berlebte den Krieg unverletzt und wurde fr seinen Mut und seinen Einsatz mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet.
Ab 1916 verfasste Teilhard ungeachtet der schwierigen Umstnde im Feld zahlreiche Aufstze. Seine Schrift Das kosmische Leben (1916) gilt als die erste vollstndige Synthese und als die erste echt teilhardsche Schrift (enthalten in Frhe Schriften).
Im Frhling 1918 schrieb er in intensivem Austausch mit seiner Cousine, der Philosophin Marguerite Teillard-Chambon, eine Hymne an Das Ewig Weibliche (ebenfalls enthalten in Frhe Schriften). Am 26. Mai 1918 legte Teilhard seine feierlichen Ordensgelbde ab, und im Mrz 1919 wurde er aus dem Militrdienst entlassen. Eine Befrderung zum Feldgeistlichen der Division hatte er abgelehnt.
Ein Jahr spter bestand Teilhard an der Sorbonne die naturwissenschaftliche Diplomprfung und schrieb danach seine Dissertation ber die Sugetiere des franzsischen unteren Eozns. 1922 promovierte er zum Dr. rer. nat. und erhielt anschlieend eine auerordentliche Professur fr Geologie am renommierten Institut Catholique de Paris. Er bekam jedoch bald Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten, weil seine Vorstellungen ber die kosmische Evolution und die berwindung des Materie-Geist-Dualismus den orthodoxen theologischen Auffassungen widersprachen. Deshalb arbeitete er hauptschlich als Geologe und Palontologe und nahm an mehreren Forschungsreisen teil, die ihn nach Burma, thiopien, Indien, Java sowie nach China fhrten, wo er mit einem Geologen-Freund die Wste Ordos erkundete. Von den zahlreichen Schriften dieser Zeit sind Die Messe ber die Welt, Mein Universum sowie Das Auftreten des Menschen besonders erwhnenswert.
Im September 1924 kehrte Teilhard nach Paris zurck und nahm wieder seine Vorlesungen auf. Daneben schrieb und verffentlichte er Die Hominisation, eine wissenschaftliche Studie ber die Evolution des Menschen. Eine weitere, theologische Arbeit ber die Erbsnde fhrte erneut zu Schwierigkeiten mit den kirchlichen Oberen, und 1926 verlor er seinen Lehrstuhl.
Spter gestatteten ihm seine kirchlichen Oberen, an einer lngeren Expedition in die stliche Mongolei teilzunehmen, wo Teilhard die Tektonik der Erdkruste erforschte und Fossilienkunde betrieb. Es war der Auftakt zu einem zwanzigjhrigen asiatischen Exil. Mit einem Freund zusammen unternahm er sodann fnf geologische Expeditionen, was ihm erlaubte, eine geologische Karte Chinas zu erstellen. 1927 bereiste er Dalai-Nur in der stlichen Mongolei, anschlieend machte er einen Abstecher nach Abessinien und Franzsisch-Somaliland. Daneben schrieb er das erste seiner beiden Hauptwerke, Der Gttliche Bereich, wofr ihm jedoch die kirchliche Zensurbehrde die Druckerlaubnis verweigerte.
1929 reiste Teilhard nach China zurck. In Peking lernte er Lucile Swan kennen, eine amerikanische Bildhauerin, mit der er bis zu seinem Tod einen intensiven Briefwechsel pflegte.[1] Im selben Jahr bernahm Teilhard die Oberaufsicht des National Geological Survey of China, und im Dezember dieses Jahres erregte die Arbeitsgruppe um Teilhard und Davidson Black weltweites Aufsehen, weil sie den ersten Schdel des fossilen Peking-Menschen (Sinanthropus Pekinensis) in einer der Hhlen von Zhoukoudian in Chou Kou Tien entdeckte. Es handelte sich um ein 500000 Jahre altes Verbindungsglied zwischen dem Menschen und dessen vermuteter affenhnlicher Vorstufe. Dies war eines der bedeutendsten palontologischen Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts. (Chinesische Forscher haben die Knochen krzlich neu datiert. Das Ergebnis: Die versteinerten berreste des Homo erectus sind 780.000 Jahre alt.)[2]
Es folgten weitere Forschungsreisen in die Mandschurei bis an die Grenze Sibiriens, in die Wste Gobi und bis nach Turkestan. Teilhards Interesse wandte sich jetzt mehr und mehr der Evolution des Menschen zu, was sich in Fundanalysen, aber auch in zahlreichen schriftlichen Arbeiten, Referaten und einer umfangreichen Korrespondenz niederschlug. Unter anderem ging es dabei auch um die Beziehung von Mann und Frau auf einer geistigen Ebene.
Ab Februar 1933 unternahm Teilhard Forschungen in Zentralchina. In dieser Zeit schrieb er auch Mein Glaube nieder. 1935 besichtigte er zusammen mit Helmut de Terra (Mein Weg mit Teilhard de Chardin) Fundorte in Indien und Java. Zurck in Peking, entwarf er verschiedene Beitrge zum Thema personales Universum. 1937 reiste er in die USA, wo er in Philadelphia mit der Gregor-Mendel-Medaille ausgezeichnet wurde. Es folgte eine Reise nach Honolulu und Japan. Dann ging es zurck nach China, dann nach Birma und wieder nach Java. In dieser Zeit entstanden Das geistige Phnomen und Die menschliche Energie. Alle diese Reisen unternahm Teilhard zusammen mit Freunden und als Mitglied eines internationalen Netzwerks von Palontologen und Geologen.
Nach verschiedenen Zwischenstationen kehrte Teilhard zum fnften Mal zu weiteren Forschungen nach Peking zurck, wo ihn der Zweite Weltkrieg festhielt. In dieser Zeit verfasste er sein zentrales Werk Der Mensch im Kosmos (Le phnomne humain, entstanden 1940). Obwohl es sich nicht um ein theologisches Werk handelte, verweigerte ihm die vatikanische Zensur auch diesmal das Verffentlichungsrecht. Trotzdem fand es seinen Weg zu Interessierten in Tausenden von behelfsmigen Vervielfltigungen. Auch seine anderen Werke wurden von Rom verboten wegen falschen Glaubensansichten, die die Grundlage der katholischen Lehre zu untergraben drohen. Nur einige Dutzend wissenschaftliche Aufstze konnte Teilhard in Fachzeitschriften verffentlichen.
1946 kehrte Teilhard nach Frankreich zurck. Er versuchte Anschluss zu finden an das geistige Milieu in Westeuropa, besuchte Konferenzen und hoffte weiter auf die Verffentlichung seiner Hauptwerke. Am 1. Juni 1946 erlitt er einen Herzinfarkt mglicherweise ausgelst durch die Androhung aus Rom, sein Werk auf den Index der verbotenen Bcher zu setzen. Anerkennung erhielt Teilhard jedoch fr seine geowissenschaftlichen Leistungen: 1947 wurde er in Paris zum Offizier der Ehrenlegion ernannt, und drei Jahre spter whlte ihn die franzsische Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitglied. In weiteren Schriften rundete er sein Lebenswerk ab, so auch mit seiner Autobiografie Das Herz der Materie.
1951 reiste Teilhard nach Sdafrika zu den Ausgrabungen des 1925 entdeckten Australopithecus. Im selben Jahr wurde er von seinem Orden im Zusammenhang mit der eben erschienenen Enzyklika Humani generis (ber einige falsche Ansichten, die die Grundlage der katholischen Lehre zu untergraben drohen) wiederum aus Frankreich verbannt, diesmal nach New York. Und wieder fgte sich der Siebzigjhrige der Ordensdisziplin. Seine letzten Jahre verbrachte Teilhard als Mitarbeiter der Wenner-Gren Foundation for Anthropological Research in New York City. Vor allem in seinen letzten Jahren litt Teilhard unter den zunehmenden Spannungen mit Rom und mit seinem Orden.
In den folgenden vier Jahren unternahm er Forschungsreisen in Nord- und Sdamerika sowie nochmals nach Sdafrika. Er verfasste seine letzten Schriften wie Die Energie der Evolution und Der Stoff des Universums. 1952 wurde er Ehrenmitglied der Society of Vertebrate Paleontology. Pierre Teilhard de Chardin verstarb am Ostersonntag des Jahres 1955, mitten aus einer Diskussion heraus.
Nach seinem Tod, zum Teil erst mit mehrjhriger Verzgerung, konnten seine Bcher gedruckt und in andere Sprachen bersetzt werden. Sie erreichten in kurzer Zeit Millionenauflagen, nachdem schon seine Vortrge und unter der Hand vervielfltigten Manuskripte auf grtes Interesse gestoen waren.
(Ausfhrlichere Lebenslufe im englischsprachigen Wikipedia-Artikel und auf der Teilhard-Webseite von Theodor Frey, siehe Weblinks)
Die Teilhard-Literatur ist umfassend und vielfltig. Teilhard selbst hat in vierzig Jahren mehrere Bcher sowie hunderte Aufstze und Vortrge verfasst, nebst unzhligen Briefen und Tagebuchnotizen. Die meisten der krzeren Schriften sind in thematischen Sammelbnden verffentlicht worden. Dazu kommen etliche kritische Abhandlungen von Gegnern Teilhards, auerdem mehrere Dutzend Verffentlichungen von Ordensbrdern und Freunden Teilhards, die ihn ber eine krzere oder lngere Strecke seines Lebens begleitet haben, ihn aus ihrer Sicht charakterisieren und zu einzelnen Aspekten seines Werkes Stellung nehmen.
Der nachmalige franzsische Kardinal und Konzilstheologe Henri de Lubac:
Teilhards Werk besitzt zweifellos eine groe innere Einheit, wie sie nur wenige Werke aufzuweisen haben. Es gibt keine Stelle darin, an der sich nicht Wesen und Persnlichkeit seines Autors erkennen liee. Wenn man einmal von den rein naturwissenschaftlich-technischen Schriften absieht, lassen sich in einer ersten berschau zwei Hauptteile unterscheiden: Der eine besteht aus einer sich noch im naturwissenschaftlich-philosophischen Bereich bewegenden Reflexion, die sich von den Gegebenheiten der Erfahrungswissenschaft aus entfaltet. Der andere ist in speziellerer Weise mystisch und religis und beruft sich hufig ausdrcklich auf die Gegebenheiten der christlichen Offenbarung. Mittelpunkt des ersten Teil ist Le Phnomne humain (Der Mensch im Kosmos); der des zweiten Teiles Le Milieu divin (Der Gttliche Bereich). So wichtig auch der erste Teil sein mag, aus der persnlichen Haltung und Einstellung Teilhards ergibt sich eindeutig, dass dieser die Aufgabe hat, zum zweiten Teil hinzufhren.[3]
Henri de Lubac schreibt weiter, es handle sich im Grunde um die beiden Aspekte der christlichen Erlsungslehre in einem neuen Gewand. Teilhard habe sich stndig mehr oder weniger erfolgreich bemht, die beiden Teile miteinander in Verbindung zu bringen. Beschrnke man sich nur auf einen Teil, wrde man Teilhards Denken stark verstmmeln. Fr Henri de Lubac ist es die geistliche Lehre Teilhards, die die grte Aufmerksamkeit verdient:
Er hat im Alleingang seinen Blick nach vorn gerichtet, um den Generationen des wissenschaftlichen Zeitalters Christus zu verknden und in Christus am Gelingen des Menschheitsabenteuers zu arbeiten.[4]
Sein erstes Hauptwerk hat Teilhard 1940 verfasst. Es wurde 1955 kurz nach seinem Tod verffentlicht, auf Deutsch 1959.[5] Die folgenden vierzehn Thesen versuchen den Inhalt dieses Hauptwerks als auch zentrale Aussagen aus anderen Bchern und Sammelbnden wie Die Zukunft des Menschen, Die menschliche Energie und Mein Universum wiederzugeben.[6]
(Ausfhrlichere Inhaltsbersicht von Der Mensch im Kosmos im Beitrag von Vera Haag, Kap.2.2, siehe Weblink)
Whrend das Buch Der Mensch im Kosmos die gesamtmenschheitliche Evolution und Zukunft behandelt, geht es in der Schrift Der Gttliche Bereich Ein Entwurf des Inneren Lebens um die individuelle innerseelische Entwicklung. Teilhard hatte mit ersten Entwrfen zu diesem Buch 1920 begonnen und die definitive Fassung im Winter 1926/27 in Tien-tsin niedergeschrieben. Nach langem Hin und Her durfte es dann doch nicht gedruckt werden und erschien erst 1957, zwei Jahre nach dem Tode Teilhards.
Ladislaus Boros schreibt im Vorwort:
Was Teilhard in diesem Buch entwickelt, ist im Grunde eine Umkehr des bisherigen geistlichen Lebens. Den im Christentum bald zweitausend Jahre wirkenden Zwiespalt zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zur diesseitigen Welt hat Teilhard in einer bisher nicht bekannten Weise aufgrund seiner neuen Vision der Schpfungswelt gelst.
In einleitenden Bemerkungen zum Buch definiert Teilhard das Zielpublikum so:
Dieses Buch wendet sich nicht ausgesprochen an Christen, die unerschtterlich in ihrem Glauben leben; sie haben aus seinem Inhalt nichts zu lernen. Es ist fr die Vorantreibenden drinnen und drauen geschrieben, das heit fr jene, die, anstatt sich ganz der Kirche hinzugeben, am Rande neben ihr gehen oder sich von ihr entfernen, in der Hoffnung, ber sie hinauszuwachsen.
Dann fgt Teilhard noch eine wichtige Bemerkung an, womit er mglichen Kritikern zuvorkommen wollte: Das Buch enthalte nur die einfache Beschreibung einer ber einen ganz bestimmten Zeitraum beobachteten psychologischen Entwicklung, eine mgliche Reihe innerer Perspektiven, die sich Schritt um Schritt dem Geist im Laufe eines bescheidenen erleuchteten Aufstiegs enthllen. Dem moralischen bel, der Snde werde nur ein geringer Platz eingerumt, denn von der Seele, mit der wir uns hier befassen, wird angenommen, dass sie sich bereits von den schuldhaften Richtungen abgewandt hat. In diesem Stadium msse man nicht mehr ausdrcklich auf das Wirken der Gnade verweisen. Ebenso msse nicht mehr ausdrcklich zwischen Natur und bernatur, gttlichem Einfluss und menschlichem Wirken unterschieden werden.
In der Einfhrung schreibt Teilhard:
Der Weg, dem wir in unserer Darlegung folgen werden, wird ganz einfach sein, weil im Felde der Erfahrung die Existenz jedes Menschen sich angemessen in zwei Teile aufteilen lsst: das, was er tut, und das, was er erleidet.
Das Werk besteht aus drei Teilen:
Hierzu meint Henri de Lubac, es genge nicht, nur den ersten Teil zu lesen, da durchdringe man blo die Auenhaut. Nur wenn man das Buch bis zum Schluss lese, gelange man bis zum Herzen der teilhardschen Mystik.[7] Der erste Teil des Werkes klinge wie eine Hymne auf das christlich verstandene Ttig-Sein. Doch mit dem Handeln, selbst wenn es vollkommen rein und selbstlos sei, befinde sich der gttliche Bereich nur in der ersten Phase seiner Entfaltung. Teilhard selber: Im Handeln haben wir erst den halben Weg auf den Berg der Verklrung zurckgelegt.[8] Nach Gott durch alles andere hindurch streben bedeute noch nicht, ihn wahrhaft erreichen. Die verheiene Vergttlichung geschehe um einen hheren Preis, und alles, was der Mensch dabei tun kann, ist, sich bereitzuhalten und demtig anzunehmen.[9]
Im Folgenden einige Eindrcke von Verwandten, Freunden und Ordensbrdern Teilhards:
Teilhard-bersetzer Josef Vital Kopp:
Teilhard wird uns geschildert als hohe, auf den rastlosen Fahrten hager gebliebene Gestalt. Seine feinen, aber energischen Gesichtszge waren von Meer- und Wstenwinden geprgt. Unter der hohen Stirn blitzten braune, warme, gtig strahlende und zugleich kritisch prfende Augen. Sein Mund war umspielt von kleinen ironischen Falten. Die langfingrigen Forscherhnde waren stndig in Bewegung, und die Gebrden, selbst des alternden Mannes, noch immer von jugendlicher Behndigkeit. [] Teilhard war ein liebenswrdiger Mensch, ein Mann des Dialogs. Wo immer er auftrat, verbreitete er Optimismus und Vertrauen. Jedermann wurde von seiner Ausstrahlung und Herzlichkeit gefangen.[10]
Maurice Blondel, Philosoph und Freund Teilhards:
Seine berzeugungskraft drckte sich bisweilen in einem inbrnstigen Bekehrungswillen und einem prophetenhaften Ton aus, die manch einer als geradezu indiskret empfinden mochte. Doch Hand in Hand damit ging bei Teilhard eine Bescheidenheit einher, die ihn hinderte, jemals zu glauben, er habe alles Wahre erkannt.[11]
Teilhards Cousine Marguerite Teillard-Chambon ber seine ersten Schriften:
Selbst uerlich sind seine Manuskripte von einer peinlichen Sorgfalt in der Schrift und der Einteilung, so als gingen sie aus einem stillen Studierzimmer hervor, wiewohl seine Hand bei der Rckkehr aus den Schtzengrben noch vor Mdigkeit und Erregung zittert. [] Was er in jenem auergewhnlichen Lebensabschnitt, aus dem er verwandelt hervorging, gesehen, empfunden, gedacht hat, wird er es eines Tages kundtun knnen? Vor seiner Demobilmachung stellte er sich die bange Frage: Werde ich je gehrt werden?[12]
Henri de Lubac, der whrend mehr als 30 Jahren mit Teilhard in einem stndigen Austausch war, schrieb, dass ihre Beziehung vom ersten Tag an von Vertrauen und absoluter Aufrichtigkeit geprgt war.[13] Nach Henri de Lubac lebte in Teilhard schon als Kind eine Leidenschaft fr das Absolute; diesen beseligenden Gegenstand' suchte er berall und unermdlich. Das Einsteigen in Teilhards Thematik gelinge dem leichter, der nicht mit vorgefassten Ideen an das Werk herantrete, wegen der herrlichen Unbefangenheit Teilhards. Er habe sich selbst bescheiden, aber sehr zutreffend definiert als Mann, der versucht, treuherzig auszusagen, was seiner Generation am Herzen liegt. De Lubac weiter: Stets und stndig sieht er im Leser seinen Freund, der bestrebt ist, zusammen mit ihm voranzuschreiten. Teilhard beanspruche nicht, mehr aufzuzeigen als einige Einfallstraen, auf denen sich uns der Blick auf eine Unermesslichkeit noch unerforschter Wirklichkeit auftut.[14]
Paul Grenet, ein Ordensbruder Teilhards:
In seinen Schriften wie in seinen Beziehungen zu den Menschen hat er nur eine einzige Diplomatie befolgt: die Diplomatie der Aufrichtigkeit.[15]
Der Biologe Adolf Portmann war der Ansicht, dass die Erforschung des Peking-Menschen Teilhards Ruf als Erforscher einer erloschenen Lebenswelt begrndet und den Grund gelegt habe fr das Vertrauen, mit dem viele Menschen seine weittragenden Folgerungen ber die Evolution der Menschheit aufgenommen haben. Doch stellte Portmann gleichzeitig fest, dass bei ihm sehr hufig der Prophet dem Forscher die Feder aus der Hand genommen hat.[16]
Claude Cunot, ein Freund Teilhards:
Es gibt keinen Teilhard fr die Allgemeinheit und einen anderen fr Eingeweihte. [] Ratschlge und Korrekturen nahm er nicht nur willig an, sondern erbat sie sogar, und zwar nicht allein von seinen Oberen [], sondern selbst von Jngeren und weniger Erfahrenen.[17]
Alice Teillard-Chambon, Schwester von Marguerite:
Auch wenn sich das Werk in einer wohlkonstruierten Form darbietet, kommt seine Kraft in der Sprache (man knnte fast sagen: seine Stokraft) von einem ersten Funken, der alles in Licht getaucht hat.[18]
Ein Spiegel-Journalist:
Auch wenn Teilhard von der obersten Dogmen-Behrde der rmischen Kurie als theologischen Truggeist bezeichnet wurde, der dogmatisch fr die Kirche eine Gefahr bedeute, wurde ihm doch attestiert, dass er den Titel Ketzer subjektiv vielleicht nicht verdiene, wegen seiner Gutglubigkeit.[19]
Der Geologe Helmut de Terra, den Teilhard auf lngeren Forschungsreisen durch Indien sowie nach Birma und Java begleitet hatte, beschrieb ihn so:
Ihm lag jede predigende berheblichkeit fern; er passte sich immer seiner Umgebung an und spielte nie den berlegenen. Sofern er als Autoritt sprechen konnte, war er nie rechthaberisch, wie er auch unter den widrigsten Umstnden einer Reise keinerlei Sonderansprche machte, sondern sich mit geradezu beschmender Bescheidenheit einzufgen verstand.
Als Beispiel fgte de Terra an:
Beim Studium eines Knochens, bei dem es sich um den Grad der Fossilisation drehte, benutzte Teilhard ein mir bis dahin unbekanntes Probiermittel: Er lie seine Zunge ber den Knochen gleiten und meinte, dass er, um als Fossil zu gelten, nicht gengend mineralisiert sei, weil er seine ursprngliche Porositt bewahrt habe. Die Art, wie er den Knochen aus der schmutzigen Hand des Arbeiters nahm und ihn sorglos an die Lippen fhrte, war wiederum sehr charakteristisch fr seine Unbekmmertheit. Diese Eigenschaft machte ihn zu einem idealen Begleiter auf Expeditionen.
Helmut de Terra berichtete auch von einem Erlebnis, das ihm einen unauslschlichen Eindruck hinterlie. Er war mit Teilhard in Zentralindien unterwegs auf einem schmalen Fupfad durch einen Bergwald, in dem Panther vorkamen. Bei jedem Rascheln im Unterholz geriet de Terra in groe Angst, und als einmal ein heftiges Krachen von Zweigen zu hren war, wollte er davonlaufen, aber Teilhard blieb ruhig stehen und sagte fasziniert: Dieser Wald ist wie das Meer voll von verborgenem Leben. Diese innere Zuversicht hatte ihn auch auf den Schlachtfeldern im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet. Auf die Frage, wie er es fertig bringe, so ruhig zu bleiben, soll Teilhard geantwortet haben: Der Tod ist nichts als eine Transformation unseres Wesens."[20]
Teilhards Denken ist geprgt von breitem naturwissenschaftlichem Wissen und zugleich von tiefer Frmmigkeit. Bahnbrechend und zu seiner Zeit anstig ist seine Annahme, dass die Schpfung als ein bis ans Ende der Zeiten fortdauernden Prozess mit noch ungeahnten Ergebnissen anzusehen ist und nicht als etwas Abgeschlossenes und Fertiges, wie es die biblischen Schpfungserzhlungen nahezulegen scheinen. Schpfung und Evolution sind fr Teilhard kein Gegensatz. Neu gedacht hat er auch das Verhltnis von notwendiger Entwicklung und menschlicher Freiheit. Theologisch knpft er dabei an die Lehre vom Heiligen Geist als Spiritus Creator an, der mit der geschpflichen Freiheit stets gegenwrtig zusammenwirkt. Teilhards weitere Einsichten zur Evolution des Menschen, insbesondere hinsichtlich dessen spiritueller Aspekte, werden oft mit denen des indischen Philosophen Sri Aurobindo verglichen, der den heutigen Menschen als bergangswesen zu einer hheren Entwicklungsstufe ansieht.[21]
Mit seinem Lebenswerk legt Teilhard dar, wie er die Welt und die Menschen in dieser Welt sieht.[22] Sein besonderes Anliegen ist es, das Verhltnis Gott Mensch Welt zu erhellen. Dies gilt es vor allem auch dann zu beachten, wenn seine Schriften den Eindruck erwecken, naturwissenschaftlich sein zu wollen. Oft ist nmlich seine naturwissenschaftliche Ausdrucksweise nichts anderes als ein Sprachmittel, um auch Menschen zu erreichen, die sich weder von der hergebrachten theologischen, noch von der philosophischen Terminologie angesprochen fhlen.
Der Theologe und Psychotherapeut Giulio Haas:
Teilhard denkt und schreibt als ein Ergriffener, und ein Ergriffener war er, weil er geschaut hat. Nach dem Schauen entdeckte er seine Lebensaufgabe: seine Weltschau den Menschen seiner Zeit als ein Ergriffener darzulegen.[23]
Welche Terminologie Teilhard auch gebraucht, nach Giulio Haas es geht ihm immer darum, seine Sicht der Gesamtwirklichkeit zu vermitteln. Es sei nicht verwunderlich, dass er dadurch sehr schnell in Konflikt mit der Naturwissenschaft, der Philosophie und der Theologie gerate. Denn jede Wissenschaft gehe die eine Wirklichkeit von ihrem je eigenen Standpunkt aus an.
Fr den Theologen Thomas Broch ist das Grundanliegen Teilhards ein spirituelles:
Am Ursprung der Grundgedanken seines Werkes steht nie das rationale Argument, der Begriff oder gar das naturwissenschaftliche Faktum, sondern die Schau, das innere Erlebnis, ein ganzheitlicher Erfahrungsakt mystischer oder religiser Prgung.[24]
Teilhard selber fasst sein Weltbild in einer Art Glaubensbekenntnis zusammen:
Ich glaube, das Universum ist eine Evolution. Ich glaube, die Evolution geht in Richtung des Geistes. Ich glaube, im Menschen vollendet sich der Geist im Personalen. Ich glaube, das hchste Personale ist der Christus-Universalis.[25]
Anderswo schreibt Teilhard:
Oft bitte ich Gott, ich mchte doch die Asche sein, aus der fr andere dieses groe Aufblhen hervorbricht, das unserer Generation gefehlt hat.
Und:
Die etwas gewagten oder systematischen Punkte meiner Lehre sind fr mich im groen und ganzen nur sekundr; ich mchte viel weniger Ideen als einen Geist verbreiten.[26]
Etwas hnliches teilt er 1927 Ida Treat in einem Brief mit:
Was ich vermitteln mchte, ist nicht eigentlich eine Theorie, ein System, eine Weltanschauung; sondern ein gewisser Geschmack (got), eine gewisse Wahrnehmung der Schnheit, der Erfahrung, der Einheit des Seins. Ich versuche, die ruhige Berauschung, die das Bewusstwerden der Tiefen des Weltstoffs in mir bewirkt, in Begriffe einer Theorie zu bersetzen (was ich gerne in Musik tte, wenn ich dazu fhig wre); aber diese Theorie hat fr mich nur eine Geltung durch die Resonanz, die sie in einem Bereich der Seele auslst, der nicht dem Intellekt zugehrt.[27]
Fr Teilhard ist die gesamte Wirklichkeit etwas Dynamisches, etwas, das dauernd in Entwicklung ist. Der Kosmos als statische, fixe Gre ist fr ihn endgltig berholt. Er verwendet daher ganz selten den Begriff Kosmos. Lieber spricht er von Kosmogenese, wodurch das Entstehen, Werden und Sich-Entfalten des Universums deutlicher zum Ausdruck kommt. Mehr noch: indem Teilhard das Wort Genese gebraucht, zeigt er nicht nur an, dass er das Universum als dynamisch versteht, sondern auch, dass diese Dynamik zielgerichtet ist.
Teilhard sieht in der Kosmogenese eine von Gott bewirkte kreative Bewegung, die noch nicht an ihr Ziel gelangt ist. Kennzeichen dieser Bewegung ist die stndige Zunahme von Organisiertheit alles Seienden. Die Kosmogenese befindet sich auf einem Weg, aber nicht um des Weges willen. Dieser Weg hat ein Ziel. Es handelt sich dabei nicht um ein von auen vorgeschriebenes oder aufdiktiertes Ziel. Die Kosmogenese tastet sich voran, auf ein Ziel hin, das sie Schritt fr Schritt selber entwirft. Wenn Teilhard von der Zielgerichtetheit der gesamten Wirklichkeit spricht, bedeutet das nicht notwendigerweise die Zielgerichtetheit des einzelnen Phnomens, oder doch nur dann, wenn es im Zusammenhang mit der ganzen Kosmogenese gesehen wird.
Der Weg, den die Kosmogenese in der Vergangenheit eingeschlagen hat, verluft nach Teilhard gem dem Gesetz der Konvergenz. Darunter versteht er die Vereinigung von zuerst getrennten Einheiten zu immer greren, komplexeren Einheiten. In den beiden Faktoren Konvergenz und Komplexitt offenbart sich das Grundstreben der Kosmogenese. Nach vorne erscheinen immer komplexere Gebilde, die zugleich immer intensiver konvergieren. Das Ziel wird das komplexeste Gebilde mit der grtmglichen Konvergenz sein.
Teilhard bezeichnet das Reich des Leblosen mit Hylosphre (hylisch=materiell, stofflich). Sie wird von physikalischen Gesetzen dominiert. Zugleich ist sie das Reich, welches die Keime kommenden Lebens in sich birgt. Diese neue Phase, die er die Biogenese nennt, ermglicht eine neue Sphre, die Sphre des Lebendigen: die Biosphre. Tastend gestalten sich immer komplexere Gebilde mit immer ausgeprgterer Innerlichkeit oder Zentriertheit bis hin zum Menschen. Diese dritte Phase im kosmischen Prozess nennt Teilhard die Noogenese, welche zur Noosphre fhrt (von nous, altgr. Geist). Die Noosphre ist die letzte Etappe der Kosmogenese. Das Geistige wird von Teilhard als eine zentrierte Wirklichkeit verstanden, die im Menschen sich selber bewusst geworden ist. Bis hierher findet sich Teilhard in bereinstimmung mit der Mehrheit seiner naturwissenschaftlichen Zeitgenossen. Dass er aber den Geist konsequent in sein kosmogenetische Modell eingebaut hat, ist vor allem fr die Theologie unannehmbar. Denn durch diese Einordnung des Geistes relativiert Teilhard den herkmmlichen Dualismus von Geist und Materie. Andererseits ruft die Anschauung Teilhards mit dem Geist als kosmische Gre wiederum die Materialisten auf den Plan.
Die wahre Originalitt Teilhards liegt nach Giulio Haas darin, dass fr ihn die Kosmogenese mit der Entstehung des menschlichen Geistes nicht abgeschlossen ist. Von der gleichen Dynamik angetrieben schreitet sie weiter, nach den gleichen Gesetzen von zunehmender Komplexitt und Konvergenz. Indem Teilhard dieses Weiterschreiten zu beschreiben versuchte, war er gezwungen, etwas darzustellen, was sich notwendigerweise der Erfahrung und der Nachprfung entzieht. Fr die Naturwissenschaft liegt hier wohl der schwchste Punkt im Gesamtwerk Teilhards. Er hat sich mit dem Vorwurf unbeweisbarer Spekulationen und Phantasterei des fteren auseinandergesetzt und war sich der Problematik seines Vorgehens bewusst. Doch ging es ihm gar nicht darum, die konkrete Gestalt der Zukunft auszumalen. Er wollte nur aufzeigen, wie der Weg der Zukunft strukturiert sein muss, wenn man die kosmischen Gesetze, die in der Vergangenheit dominierend waren, in die Zukunft extrapoliert.
Aufgrund der Gesetze der Konvergenz, der Komplexitt, der Verinnerlichung und der Zentrierung ist fr Teilhard die Noosphre eine sich selbst schaffende Wirklichkeit, die auf eine gemeinsame Mitte hin tendiert, auf ein hyper-personales Zentrum. Den Zielpunkt der Noogenese setzt Teilhard vor allem in den Sptschriften mit dem kosmischen Christus gleich. Noogenese und Christogenese bilden fr ihn eine Einheit, doch er hat lange darum ringen mssen, um die Einheit dieser zwei Strmungen darstellen zu knnen.
Teilhard ist sich der Konflikte zwischen den Nationen, das Auseinanderleben von Jung und Alt, die Spannungen zwischen den Geschlechtern usw. bewusst. Deshalb unterscheidet er zwei Phasen innerhalb der Noogenese wie in den vorhergehenden Abschnitten der Kosmogenese. Die erste Phase ist die Phase der Divergenz. Dazu gehrt das Besitzergreifen der Erde, das Auseinanderstreben, das Sich voneinander Absetzen. Ihr folgt die Phase der Konvergenz, das tastende Einander-Suchen und Aufeinander-Eingehen. Nach Teilhard ist diese Phase vor allem durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus sichtbar geworden. Im Christentum wird sie nach seiner Meinung weitergefhrt. Von ihm erwartet er nicht nur die strksten Impulse fr die Konvergenz, sondern auch den endgltigen Sieg. In diesem Sinn spricht Teilhard den etwas gewagten Gedanken aus, dass das Christentum der wahre Erbe der Kosmogenese sei. In der konkreten Wirklichkeit lassen sich die beiden Phasen zeitlich nicht trennen; sie laufen parallel nebeneinander.
Da die gesamte Wirklichkeit auf ein Ziel hin ausgerichtet ist, muss in ihr die Energie vorhanden sein, die es ihr ermglicht, diesem Ziel entgegenzutasten. Teilhard glaubt, diese kosmische Energie berall zu entdecken. Er geht in verschiedenen Schriften darauf ein. Auf der Stufe des Menschen erscheint sie als die Liebesenergie. Doch sie war schon lange vor dem Menschen am Werk. So schreibt er in Der Mensch im Kosmos:
In ihrer vollen biologischen Realitt betrachtet, ist die Liebe nicht auf den Menschen beschrnkt. Sie ist die Anziehung, die ein Wesen auf ein anderes ausbt. Sie ist allem Leben eigentmlich und verbindet sich in verschiedener Weise und in verschiedenem Grade mit allen Gestalten, in denen die organische Materie nach und nach erscheint. [] Wenn nicht schon im Molekl auf unglaublich rudimentrer Stufe eine Neigung zu Vereinigung bestnde, so wre das Erscheinen der Liebe auch auf hherer Ebene, in der menschlichen Form, physisch unmglich.[28]
Fr Teilhard ist die Liebe die universellste, die ungeheuerlichste und die geheimnisvollste der kosmischen Energien. Sie ist die Antriebskraft fr das gesamte kosmologische Streben. Sie nimmt das letzte Ziel, die organische Einheit alles Seienden, bereits handelnd und leidend vorweg. Diese Liebe ist fr Teilhard im Herzen von Jesus Christus bereits vollkommen verwirklicht. Sie ist nicht von auen in die kosmische Wirklichkeit eingedrungen, sondern ebenso wie der menschliche Geist ist sie dieser Wirklichkeit entsprungen, hat dabei ihr Wesen verndert und ist im Menschen personal geworden.
Beides muss beachtet werden: die Kontinuitt der Liebesenergie und die Diskontinuitt durch die jeweilige Verwandlung. hnlich wie zwei Liebende einander anziehen und sich durch diese Anziehung verndern, so gibt der menschliche Geist sich dem Greren hin, vereint er sich mit ihm.[29] Es ist von Anfang an dieselbe Energie, welche die Gesamtwirklichkeit vorantreibt, doch sie verwandelt sich in den verschiedenen Phasen der Kosmogenese. Unter diesem Aspekt bezeichnet Teilhard den gesamten kosmischen Prozess als Amorisation (= einigende und vollendende Liebeskraft). Deshalb ist die Liebe die treibende Urkraft der Kosmogenese.[30]
Der Entwicklungskraft der Kosmogenese von unten hat ihren Gegenpol in einer Anziehungskraft von oben. Teilhard bentzt dazu den Ausdruck Christus universalis oder kosmischer Christus, entsprechend dem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser: Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen [] Alles hat durch ihn seinen Bestand. (Kol 1.16). Unbeachtet anderer exegetischer Interpretationen bernahm er diesen Satz so, wie er ihn in seiner Bibel vorfand; er wurde ihm zum Kern seiner Weltschau.
Durch diese beiden Krfte entfaltet der Kosmos seine Dynamik. Im Symbol des Christus universalis ausgedrckt: Christus erhlt durch die Kosmogenese eine kosmische Dimension, und der Kosmos erhlt eine christische Dimension. Dies drckt Teilhard mit dem Begriff Christogenese aus. An einer Stelle spricht er sogar von Theogenese, also von einer Gottwerdung der Gesamtwirklichkeit.[31]
Die Frage, wer dieser kosmische Christus sei, wurde Teilhard immer wieder gestellt. Viele hat seine Antwort nicht befriedigt. Doch fr ihn stand fest, dass es sich dabei um niemand anderes handeln konnte als um den historischen Jesus von Nazareth, den Teilhard in seiner Kindheit durch die Vermittlung seiner Mutter kennen und lieben gelernt hatte.[32]
Um das Ziel zu beschreiben, auf das sich die Kosmogenese hintastet, benutzte Teilhard die Metapher Omega. Er verstand den Punkt Omega als ein Zentrum der ans Ziel gelangten Gesamtwirklichkeit und versuchte damit auch im Gesprch mit Nichtchristen zu bleiben:
Wenn der Punkt Omega nicht von Natur erhaben wre ber Zeit und Raum, die er in sich sammelt, so wre er nicht Omega. Eigengesetzlichkeit, allgegenwrtiges Wirken, Irreversibilitt und schlielich Transzendenz: das sind die vier Attribute von Omega.[33]
Omega, das ewig Eine, ist ein biblischer Hohheitstitel fr Christus in der Offenbarung des Johannes (Offb 21,6). Der Punkt Omega ist Ziel, Richtung und Motor der Evolution. Teilhard beschrieb in seinem Hauptwerk Der Mensch im Kosmos die Einigung der Welt durch Gott mittels Jesus Christus mit folgenden Worten:
Die Welt schaffen, vollenden und entshnen, so lesen wir bereits bei Paulus und Johannes, ist fr Gott die Einigung der Welt in einer organischen Vereinigung mit sich selbst. Auf welche Weise eint er sie? Indem er zu einem gewissen Teil in die Dinge eintaucht, indem er sich zum Element macht, und indem er dann, kraft des im Herzen der Materie gefundenen Sttzpunktes, die Fhrung und den Plan dessen bernimmt, was wir heute Evolution nennen. Indem er als Mensch unter Menschen erstanden ist, hat Christus als Prinzip universeller Lebenskraft seine Stellung eingenommen, und er ist seit je dabei, den allgemeinen Aufstieg des Bewusstseins, in den er sich hineingestellt hat, unter sich zu beugen, zu reinigen, zu leiten und aufs hchste zu beseelen.[34]
Im Bchlein Mein Universum, das der Unio Creatrix, der Einheit der Schpfung, gewidmet ist, bezog Teilhard Christus noch direkter auf den Punkt Omega:
Weil Christus Omega ist, ist das Universum physisch bis in sein materielles Mark durchdrungen vom Einfluss seiner bermenschlichen Natur.[35]
Der Begriff Omega machte es Teilhard schwierig, die personale Dimension des Zielpunktes der Kosmogenese mitklingen zu lassen. Ihm lag aber alles daran, darauf hinzuweisen, dass der Zielpunkt der Kosmogenese als etwas Personales verstanden wird, genauer, als ein Hyper-Personales. Er wollte aufzeigen, dass fr ihn Geist eine historisch gewachsene, biologische, ja planetarische Gre ist, eine echte Frucht der Kosmogenese und keine auerkosmische Begleiterscheinung. Indem der Geist im Menschen personal geworden ist, muss auch das Ziel als personal verstanden werden, als das Zentrum aller zentrierten Einheiten. Die Vollendung des Menschen sah Teilhard nicht in einer weiteren Vervollkommnung der Individuen, sondern im erfllenden Aufgehen der Individuen in der Gemeinschaft.
Teilhard wurde oft der Vorwurf gemacht, dass seine Weltschau zu optimistisch sei, und dass er dem Problem des Bsen zu wenig Platz einrume. Teilhard selber hat das nicht so gesehen. In seinem Kosmos, der sich tastend vorwrts bewegt, ist das Bse stets gegenwrtig. Unter dem Bsen verstand er alles, was sich dem Weg zunehmender Konvergenz entgegenstellt. Das bel bzw. das Bse ist eine zersetzende Kraft. So zeigt sich das Bse in der Kosmogenese auf mannigfache Art. Es erscheint als das bel der Unordnung und des Misserfolgs. Auch der Zerfall im Sinne des Anstiegs der Entropie ist ein bel, und doch ist es notwendig zur Weiterentwicklung.
Das ist die unvermeidliche Kehrseite der ganzen Kosmogenese: sich einen gewissen Anteil an Abfllen zu erlauben (wobei beide Bedeutungen des deutschen Wortes zutreffen).
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